Das Kurzzeitgedächtnis

Unser Kurzzeitgedächtnis, sofern es denn als solches wirklich existiert, ist eines der ganz besonderen Phänomene, die man in vielen alltäglichen Bereichen wiederfindet. Zwar mag man durchaus darüber streiten können, ob es eine tatsächliche Trennung zwischen Kurz- und Langzeitgedächtnis (sowie verschiedenen sensorischen Gedächntnisformen) im tatsächlichen Sinne gibt, aber an dieser Stelle soll es nicht um Benennungen und Erklärungen gehen, sondern um Befunde, die die empirische Forschung in vielen Jahren hervorgebracht hat. Dazu gibt es recht konkrete Zahlen, die man auch bei der Human-Computer-Interaction nicht vernachlässigen sollte.

Doch was leistet dieses nicht greifbare Konstrukt, das im Englischen Short-Term Memory genannt wird? Miller hat 1956 die bis heute gültige Aussage von Miller’s Magical Number getroffen: Der Mensch kann 7±2 Chunks im Kurzeitgedächtnis speichern. Bei einmaliger Rezeption geht man davon aus, dass die Chunks für rund 20 Sekunden erhalten bleiben.

Zunächst stellt sich die Frage: Was ist ein Chunk? Es handelt sich dabei um eine Informationseinheit. Präsentiert man einem Probanden eine Reihe zufälliger Ziffern, so kann jede einzelne dieser Ziffern einen eigenen Chunk „belegen“. Taucht aber in dieser Ziffernfolge z.B. die Vorwahl des Probanden auf, so nehmen diese Ziffern zusammen nur einen Chunk in Anspruch. Gleiches gilt auch für Buchstabenfolgen, denn sobald sich in diesen Folgen erkennbare Worte ergeben, muss für dieses Wort nicht mehr jedes einzelne Zeichen gespeichert werden. Noch ein Beispiel: Eine Folge von dem Probanden bekannten Namen belegt nicht einen Chunk je Zeichen, sondern einen Chunk je Name. Falls ihr das einfach mal ausprobieren möchtet, könnt ihr im Braekling.de Lab den Memory Capacity and Cognitive Load Test durchführen. Viel Spaß!

Doch was bedeutet diese Erkenntnis nun für die Entwicklung von Programmoberflächen oder Webseiten? Hier hält sich seit langem ein Gerücht, dass absoluter Blödsinn ist. So wird gerne vermittelt, aufgrund der 7±2 Chunks dürfe ein Menü niemals mehr als 7 Punkte umfassen. Aber ein Menü dient dazu, gelesen zu werden, um die entsprechende Funktion zu entdecken… es soll vom Nutzer nicht auswendig gelernt werden. Würde das Menü nach kurzer Zeit verschwinden und der User wäre darauf angewiesen es selbst zu reproduzieren, dann würde dieser Gedanke Sinn machen. Sonst, also im Alltagsgebrauch, aber definitiv nicht.

Folgern kann man aber folgendes: Egal was man entwickelt – man sollte dem Nutzer möglichst wenige Informationen auferlegen, die er selbst behalten muss. Sobald das Gedächtnis des Nutzers gefordert wird, sollte man dies so gering wie möglich halten. Vermeidet es aber bitte, Navigationselemente auf ein sehr abstraktes Niveau zu reduzieren, nur weil euch jemand erklärt hat, es würde so dem Nutzergedächtnis entsprechen. Es mag schön sein, wenn sich der Nutzer das Menü gut merken kann, aber er wird sicher mehr davon profitieren, wenn er nicht die Kategorien „Audio-CD“ und „Bücher“ in einem Onlineshop durchstöbern muss, weil er einfach nur „Hörbücher“ sucht.

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